Kantonale Mindestlöhne: unverantwortlicher Entscheid des Nationalrats

Der Nationalrat hat heute entschieden, dass die ausgehandelten Minimallöhne aus allgemeinverbindlichen Gesamtarbeitsverträgen den kantonalen Mindestlöhnen immer vorgehen sollen. Aktuell ist dies in den Kantonen Neuenburg und Genf nicht der Fall. Travail.Suisse erachtet den Entscheid des Nationalrats als unverantwortlich. Die Sozialpartner sollen nicht mit privatrechtlichen Verträgen Volksentscheide überstimmen können.
In fünf Kantonen der Schweiz gibt es gesetzliche Mindestlöhne. In zwei Kantonen (Genf und Neuenburg) dürfen diese nicht von allfälligen Mindestlöhnen aus allgemeinverbindlichen Gesamtarbeitsverträgen unterschritten werden. Der Mehrheit des Nationalrats ist die Regelung dieser beiden Kantone ein Dorn im Auge. Er will, dass Vereinbarungen der Sozialpartner die kantonalen Mindestlöhne in allen Kantonen übersteuern und die gesetzlichen Mindestlöhne damit unterschritten werden können. Damit könnten die Sozialpartner in Zukunft mit privatrechtlichen Verträgen den Volkswillen übersteuern. Bestehende gesetzliche Mindestlöhne, die zur Armutsbekämpfung eingeführt wurden, müssten nicht mehr zwingend eingehalten werden.
«Eine Mehrheit im Nationalrat ist bereit, die Verfassung zu umgehen, damit die tiefsten Löhne in den Grenzregionen gesenkt werden können. Dieser Entscheid ist aus Sicht von Travail.Suisse unverantwortlich und hochgradig schädlich für die betroffenen Arbeitnehmenden, aber auch für die Sozialpartnerschaft », so Thomas Bauer, Leiter Wirtschaftspolitik von Travail.Suisse.
Im Jahr 2017 hat das Bundesgericht entschieden, dass gesetzliche kantonale Mindestlöhne zulässig sind, sofern sie sozialpolitischen Zielen dienen. Insbesondere sollen sie einen angemessenen Lebensstandard sicherstellen und Armut bekämpfen. Das Beispiel des Kantons Neuenburg zeigt deutlich, dass dieses Ziel mit einem moderaten gesetzlichen Mindestlohn erreicht wird. Die Sozialhilfequote ist seit der Einführung des Mindestlohnes deutlich gesunken. Der Entscheid des Nationalrates würde somit nicht nur die betroffenen Arbeitnehmenden, sondern auch die kantonalen öffentlichen Haushalte treffen.
Für den Kanton Genf liegen inzwischen zudem Studien vor, welche die Auswirkungen des Mindestlohns auf die Beschäftigung untersuchen. Insgesamt zeigt sich keine negative Auswirkung auf die Anstellung von Arbeitnehmenden. Entgegen den häufig geäusserten Befürchtungen hat die Arbeitslosigkeit nicht zugenommen. Im Rahmen der Vernehmlassung haben sich alle Kantone, mit einer Ausnahme, klar gegen die Vorlage ausgesprochen. Nun ist es am Ständerat diesen unverständlichen und unverantwortlichen Entscheid zu korrigieren.