Umsetzung der flankierenden Massnahmen 2024: wirksam, unerlässlich, aber lückenhaft

Die Berichte zur Umsetzung der flankierenden Massnahmen im Jahr 2024 unterstreichen einmal mehr die hohe Bedeutung des Lohnschutzes für viele Arbeitnehmende. Ohne dichte Kontrollen und wirksame Sanktionen würden die inländischen Löhne und Arbeitsbedingungen in verschiedenen Branchen stark unter Druck geraten. Gleichzeitig bestehen beim Lohnschutz weiterhin Lücken, die geschlossen werden müssen.
Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) hat am Freitag seine jährlichen Berichte zur Umsetzung der flankierenden Massnahmen veröffentlicht. Diese verdeutlichen einmal mehr: die flankierenden Massnahmen sind in vielen Branchen wirksam, insgesamt unerlässlich, aber weiterhin lückenhaft.
Stabile Entwicklung bei meldepflichtigen Kurzaufenthaltern
Die Anzahl an meldepflichtigen Kurzaufenthaltern entwickelte sich im Jahr 2024 weitgehend stabil. Einer leichten Zunahme bei den entsandten Arbeitnehmenden, steht ein Rückgang bei den kurzfristigen Stellenantritten bei Schweizer Arbeitgebern gegenüber. Insbesondere der Personalverleih verzeichnete konjunkturbedingt weniger kurzfristige Stellenantritte. Dies, nachdem die Anzahl an temporären ausländischen Arbeitnehmenden, die für kürzere Arbeitseinsätze in die Schweiz kommen, in den Vorjahren sehr stark zugenommen hatte. Mit 272'581 Arbeitnehmenden, die im Rahmen einer Entsendung, eines kurzfristigen Stellenantritts oder als Selbständige in die Schweiz einreisten, blieb die Anzahl aber weiterhin hoch.
Enge Kontrollen in Branchen mit hohem Missbrauchspotenzial – kantonale Lücken
Insgesamt wurden im Jahr 2024 gut 36'000 Betriebe und 140'000 Personen von den tripartiten und den paritätischen Kommissionen kontrolliert. Die paritätischen Kommissionen sind für den Lohnschutz in Branchen mit einem allgemeinverbindlichen Gesamtarbeitsvertrag (aveGAV) verantwortlich, während tripartite Kommissionen in Branchen ohne aveGAV kontrollieren. Die Kontrollen auf Einhaltung der orts-, berufs- und branchenüblichen Löhne erfolgen dabei grundsätzlich risikoorientiert. Sie betreffen insbesondere Branchen mit einer hohen Anzahl an Entsendungen (u.a. Industrie und Bauhauptgewerbe) und einer hohen Anzahl an kurzfristigen Stellenantritten (u.a. Gastgewerbe und Baunebengewerbe).
Die Anzahl der Betriebskontrollen ist im Jahr 2024 im Vergleich zu den Vorjahren weitgehend stabil geblieben. Dabei zeigen sich weiterhin beträchtliche kantonale Unterschiede. Während im Tessin und in Genf vergleichsweise häufig kontrolliert wird, wurden etwa im Kanton Zug kaum Kontrollen durchgeführt. «Diese grossen kantonalen Unterschiede können nicht alleine durch die Anzahl der Arbeitsplätze oder den Lohndruck in diesen Kantonen erklärt werden. Vielmehr fehlt es in einigen Kantonen am Willen zur konsequenten Umsetzung der entsprechenden Kontrollen», so Thomas Bauer, Leiter Wirtschaftspolitik bei Travail.Suisse.
Jeder fünfte Entsendebetrieb unterbietet Löhne
Insgesamt stellten die kantonalen tripartiten Kommissionen im Jahr 2024 bei jedem fünften Entsendebetrieb Lohnunterbietungen fest. Die anhaltend hohen Verstossquoten unterstreichen erneut die Bedeutung intensiver, aber risikoorientierter Kontrollen. Wenn sich Entsendebetriebe nicht an inländische Löhne oder Begebenheiten halten, können Sanktionen ausgesprochen werden, in der Regel handelt es sich dabei um Bussen. In schweren Fällen können ausländische Betriebe aber auch für mehrere Jahre vom Schweizer Markt ausgeschlossen werden («Dienstleistungssperre»). Entsendebetriebe haben daher ein grosses Interesse an einer Einigung mit den Behörden. Dementsprechend konnten 81% der Verständigungsverfahren mit Entsendebetrieben erfolgreich abgeschlossen werden.
Auch Betriebe mit Sitz in der Schweiz müssen sich an die orts-, berufs- und branchenüblichen Löhne halten. Bei Verstössen gegen minimale Löhne aus Gesamtarbeitsverträgen, Normalarbeitsverträgen oder gegen kantonale gesetzliche Mindestlöhne drohen ihnen ebenfalls Bussen. Wenn allerdings keine klaren minimalen Lohnuntergrenzen bestehen, sind kaum Sanktionen möglich. Bei Betrieben mit Sitz in der Schweiz wurden von den tripartiten Kommissionen deshalb zwar mit 11% deutlich tiefere Verstossquoten festgestellt als bei Entsendebetrieben. Dies liegt auch daran, dass in einigen Kantonen grosse Toleranzschwellen hinsichtlich der akzeptablen Löhne bestehen. Allerdings scheiterten im Jahr 2024 44% der Verständigungsverfahren mit Schweizer Betrieben. Fast die Hälfte der Schweizer Betriebe, die gegen die orts-, berufs- und branchenüblichen Löhne verstossen haben, waren somit nicht bereit, diese Löhne auch anzupassen. Der Lohnschutz bleibt in Branchen ohne allgemeinverbindliche Gesamtarbeitsverträge weiterhin lückenhaft und in Teilen zahnlos. Travail.Suisse erachtet es als zwingend notwendig, die hohen Toleranzschwellen, die verschiedene Kantone bei den Lohnkontrollen zulassen, deutlich zu reduzieren und Sanktionen gegen Betriebe mit Sitz in der Schweiz einzusetzen, die orts-, berufs- und branchenübliche Löhne unterbieten.
Instrumentarium zum Lohnschutz wird zu wenig eingesetzt
Bei wiederholten missbräuchlichen Lohnunterbietungen können die tripartiten Kommissionen Normalarbeitsverträge erlassen oder bestehende Gesamtarbeitsverträge für allgemeinverbindlich erklären. Allerdings wurden diese Instrumente trotz wiederholt festgestellter Lohnunterbietungen kaum eingesetzt. So bestehen Normalarbeitsverträge vor allem in den Kantonen Genf (8x) und Tessin (11x), während das Instrument in der Deutschschweiz praktisch nicht eingesetzt wird.
Viele tripartite Kommissionen, insbesondere in der Deutschschweiz, zeigen somit weiterhin eine sehr beschränkte Bereitschaft, für einen wirksamen Lohnschutz ausserhalb von Branchen ohne allgemeinverbindliche Gesamtarbeitsverträge einzustehen. «Es reicht nicht aus, dass dank den flankierenden Massnahmen wichtige Instrumente für den Lohnschutz bereitstehen, diese müssen auch konsequent eingesetzt werden. Davon sind wir in vielen Kantonen noch weit entfernt», so Thomas Bauer.
Flankierende Massnahmen – unerlässliches Instrument für den Schutz inländischer Löhne
Die flankierenden Massnahmen wurden 2004 als Antwort auf die Personenfreizügigkeit eingeführt, um inländische Löhne und Arbeitsbedingungen zu schützen. In der Schweiz liegen die Löhne verglichen mit den unmittelbaren Nachbarländern Deutschland, Frankreich, Italien und Österreich um 15 bis 40 Prozent höher.
Im Rahmen der Umsetzung der flankierenden Massnahmen beobachten und kontrollieren die kantonalen tripartiten Kommissionen – zusammengesetzt aus Sozialpartnern und öffentlicher Hand – die Lohnentwicklung. Dabei stehen ihnen unterschiedliche Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten zur Verfügung.
Bei wiederholten Unterbietungen der orts-, berufs- und branchenüblichen Löhne können sie etwa mittels der vereinfachten Allgemeinverbindlichkeit von Gesamtarbeitsverträgen oder durch den Erlass von Normalarbeitsverträgen minimale Löhne festlegen, die nicht unterschritten werden dürfen.