Zum 1. Mai: Solidarität statt Hetze und Familienzeit jetzt!
Rede von Adrian Wüthrich anlässlich der 1. Mai-Feier 2025 in Interlaken
Liebe Anwesende, liebe Kolleginnen und Kollegen
Heute an diesem schönen 1. Mai feiern wir also den Tag der Arbeit. Es ist gut, gibt es diesen Tag, damit wir an diesem Tag zusammenkommen und den Wert der Arbeit feiern können. Ja, wir feiern die Arbeit der Arbeitnehmenden in der Schweiz, der ganzen Welt. Dass dieser Tag nicht nur ein wohlverdienter Festtag bleibt, sondern auch ein zusätzlicher Feiertag in der ganzen Schweiz wird, wie bereits in acht Kantonen, ist eigentlich nur logisch und richtig. Ich mache deshalb aus aktuellem Anlass gerne auf die Petition der Gewerkschaft Syna mit dieser Forderung aufmerksam.
Dass der 1. Mai in Amerika im Jahr 1886 beim damaligen Generalstreik in Chicago seinen Ursprung hat und seit über 100 Jahren in vielen Ländern der Welt gemeinsam gefeiert wird, können wir uns nach den letzten Wochen mit diesem US-Präsidenten kaum vorstellen. Wir möchten die wenigsten Dinge übernehmen, die wir in letzter Zeit aus den USA hören. Diese US-Regierung wurde zwar demokratisch gewählt, klar, aber sie nutzt die Hetze auch nach dem Wahlkampf. Wir hören wenig, dass der Präsident für das ganze Volk da sein will. Nein, trotz einer Hüst-und-Host-Politik wird behauptet, dass es der erfolgreichste Start einer neuen Regierung war. Dabei hat dieser Präsident mit seiner Politik die Altersvorsorge Hunderttausender amerikanischer Arbeiterinnen und Arbeiter gefährdet und gefährdet sie immer noch. Es wird gehetzt gegen Andersdenkende, gegen Minderheiten, gegen Ausländerinnen und Ausländer. Fakten werden verdreht und die Macht des Stärksten wird ausgenutzt. Das mag für eine grosse Volkswirtschaft wie die USA ein Ansatz sein, ob er aufgeht, wage ich zu bezweifeln.
Für die Schweiz als kleines Land, als offene Volkswirtschaft, taugt diese Lösung erst recht nicht. Wir müssen mit anderen Ländern zusammenarbeiten und für den Erhalt der Arbeitsplätze ein gutes Verhältnis zu allen Staaten haben. Dank unserer Berufsbildung und unserer Innovationskraft haben wir heute noch Industriearbeitsplätze und können weltweit unsere Produkte absetzen. Hetze gegen andere Länder, unerklärbar hohe Zölle für andere Staaten, das wäre für die Schweiz vernichtend. Diese Hetze, diese negative Haltung gegen andere, das Spalten der Gesellschaft und das Ritzen der demokratischen Ordnung, müssen uns die Augen öffnen, damit wir es besser machen. Dass wir nicht hetzen, sondern aufeinander zugehen und mit Anstand und auf Augenhöhe Lösungen suchen. Die Schweizer Sozialpartnerschaft kann – in der Regel – als gutes Beispiel dienen.
Solidarität statt Hetze! Das ist das Motto des diesjährigen 1. Mai. Dieses Motto ist letztlich der Grundgedanke der Maifeierbewegung. Am Internationalen Arbeiterkongress von 1889 in Paris ging es darum, die heillos zerstrittene internationale Arbeiterbewegung hinter mindestens einer einheitlichen Forderung zusammenzubringen. Man schrieb die Erkämpfung des 8-Stunden-Tages auf die Transparente – in Erinnerung an den blutigen Generalstreik 1886 in Chicago – und einigte sich darauf, inskünftig jährlich am 1. Mai für diese Forderung in allen Ländern zu demonstrieren. Dieser Gedanke hat auch nach über 100 Jahren seine Gültigkeit nicht verloren. Erst recht nicht mit dem Erstarken der extremen Rechten und einer globalisierten Wirtschaft. Wir können unsere Rechte nur erkämpfen, wenn wir uns international zusammenschliessen. Solidarisches Verhalten ist gefragt über alle Grenzen von Staaten, Sprachen, Religionen, Rassen und Kontinenten hinweg. So sind denn auch der Gewerkschaftsbund und Travail.Suisse Mitglied des Europäischen Gewerkschaftsbundes.
Wenn wir unsere Situation in Europa anschauen, so ist auch hier diese Zusammenarbeit und Solidarität mit unseren Nachbarn wichtiger als Spaltung und Hetze. Die Gewerkschaften waren nie aus den gleichen Gründen wie die SVP skeptisch gegenüber neuen Verträgen mit der Europäischen Union. Wir stellen die soziale Frage in den Mittelpunkt und setzen uns für die Interessen unserer Mitglieder, der Arbeitnehmenden in der Schweiz ein. Wir haben einen sozialen EU-Vertrag gefordert, einen Vertrag, der den Lohnschutz und den Service public garantiert. In harten Verhandlungen und vielen Gesprächen konnten SGB und Travail.Suisse den Bundesrat überzeugen, dass ein Stabilisierungsabkommen mit der EU die Löhne und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmenden in der Schweiz sichern muss. Der Grundsatz «Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort» soll gelten, in der Schweiz, in der EU. Lohndumping muss unterbunden und bekämpft werden können. Ich bin froh, dass wir hart geblieben sind.
Die Demokratie hilft uns in der Schweiz. Der Bundesrat weiss, dass die Arbeitnehmenden auch Stimmberechtigte sind. Der Stabilisierungsvertrag hat bei einer Abstimmung nur eine Chance, wenn der Lohnschutz gewährleistet ist, sonst stimmen die Stimmberechtigten sicher nicht zu. Ich kann heute sagen, dass die durch die neuen Verträge notwendigen Anpassungen beim Lohnschutz – Verschlechterungen – durch neue Massnahmen kompensiert werden. Wir konnten keine Meilensteine erreichen, aber wir konnten vereinbaren, dass die flankierenden Massnahmen modernisiert und abgesichert werden. Wir übernehmen die EU-Spesenregel nicht und nutzen den vollen Spielraum des EU-Rechts, wie dies über 16 andere EU-Staaten auch tun. Wir können mit der Anpassung der Quoren für die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Gesamtarbeitsverträgen zudem die rund 76 AVE-GAV für die Zukunft absichern. Nicht nur wir haben in der heutigen zersplitterten und individualisieren Arbeitswelt Mühe Mitglieder zu finden, sondern auch die Arbeitgeber. Wichtig ist eines: Unsere Zustimmung basiert auf dem gesamten Paket mit den 14 Massnahmen. Gerade dem bürgerlichen Parlament muss dies deutlich gesagt werden.
Solidarität ist auch der Grundsatz bei den Sozialversicherungen. Wir haben die AHV, mit der wir uns vor den Risiken Alter und Tod absichern. Wir brauchen aber auch eine solidarische Lösung für die jungen Familien in der Schweiz. In der EU und in vielen anderen Ländern kennen die Arbeitnehmenden eine Elternzeit, die Möglichkeit nach der Geburt des eigenen Kindes bezahlen Urlaub für die Kinderbetreuung zu beziehen. In der Schweiz haben wir 14 Wochen Mutterschaftsurlaub und seit 2021 2 Wochen Vaterschaftsurlaub. Reicht das, liebe Kolleginnen und Kollegen? Nein, die Schweiz ist punkto Familienpolitik immer noch ein Entwicklungsland. Travail.Suisse und eine breite Allianz haben deshalb Anfang April die Familienzeit-Initiative gestartet. Beide Elternteile sollen künftig je 18 Wochen Familienzeit erhalten, damit sie gut ins Familienleben starten können. Angesichts der tiefen Geburtenrate ist eine Verbesserung für die Familien einfach nötig. Das Modell ist für die Gleichstellung von Frau und Mann ideal, weil beide Elternteile gleich lange vom Arbeitsplatz weg sind und beide die Zeit erhalten, sich ans Elternsein mit allem Drum und Dran zu gewöhnen. Ich bitte Euch deshalb auch hier um eine Unterschrift – Familienzeit jetzt!
Neben der sozialen Sicherheit wie der Familienzeit kämpfen wir weiter für höhere Löhne – und für die Lohngleichheit. Die Reallöhne stiegen im letzten Jahr wieder etwas an, davor sanken sie vier Mal in Folge – dabei geht es der Wirtschaft sehr gut. Wann sollen die Löhne steigen? Wir sehen, dass die Dividenden-Ausschüttungen der Unternehmen des Swiss-Performance-Index (SPI) ihre Ausschüttungen auf dieses Jahr erneut um Milliarden erhöhen – 2024 erreichten sie einen Rekordwert! 2024 haben deren 23 die Dividendenzahlungen um mehr als 10 Prozent erhöht. Von den Unternehmensgewinnen sollte mehr an die Arbeitnehmenden, der Teuerungsausgleich und einen fairen Anteil am Produktivitätszuwachs ist das Mindeste! Auch daran erinnern wir am 1. Mai! Und daran werden wir im Lohnherbst lautstark erinnern!
Am Tag der Arbeit zeigen und fordern wir hier und auf der ganzen Welt, dass auch unsere Interessen zählen. Wir bleiben dran – in diesem Sinne: Solidarität statt Hetze! Einen schönen – hoffentlich bald für alle freien – 1. Mai!