Langsam, aber sicher kommt Bewegung in die Familienpolitik. Mit der Vaterschaftsurlaubs-Initiative heizt Travail.Suisse, der unabhängige Dachverband der Arbeitnehmenden, die Diskussion an. Etliche Kantone und Gemeinden, aber auch Unternehmen begreifen, dass sie ihren Angestellten mehr als einen Tag Vaterschaftsurlaub bieten müssen, um als Arbeitgeber interessant zu bleiben.
Ende letzten Jahres hat die Stadt St. Gallen 20 Tage Vaterschaftsurlaub eingeführt, anfangs 2019 zog Neuenburg als erster Kanton gleich. Auch die privaten Unternehmen begreifen, dass sie ihren Angestellten etwas bieten müssen, um als Arbeitgeber interessant zu bleiben. So führt Novartis inzwischen mit ganzen 90 Tagen bezahltem Vaterschaftsurlaub die Liste an – gefolgt von weiteren Multis wie Google (60 Tage), Johnson & Johnson oder Microsoft (40 Tage).
Nur Angestellte aus Verwaltung und Multis profitieren von aktueller Entwicklung
Das sind zwar erfreuliche News, doch die Initiative für einen vernünftigen Vaterschaftsurlaub fordert 20 Tage für alle Unternehmen in der Schweiz. Es darf nicht sein, dass es sich ein mittelständisches Unternehmen in Zeiten von Fachkräftemangel und der Dominanz von multinationalen Unternehmen nicht leisten kann, seinen Angestellten einen vernünftigen Vaterschaftsurlaub zu bieten. Die Diskrepanz zwischen einem Arbeitgeber wie Novartis, der seinen Vätern 90 Tage bei vollem Lohn bezahlt, und den vielen KMU, die sich nicht mehr als den einen obligatorischen Tag leisten können, ist viel zu gross. Es braucht eine vernünftige politische Lösung, damit die KMU in der Schweiz den Anschluss nicht verlieren.
Verheerend wäre, wenn die Argumentation der Arbeitgeberverbände gewinnen würde. So liess der Schweizerische Arbeitgeberverband in seiner Vernehmlassungsantwort zum Gegenentwurf von 10 Tagen Vaterschaftsurlaub verlauten, ein gesetzlich verankerter Vaterschaftsurlaub sei „eine Geringschätzung gegenüber den zahllosen Anstrengungen in den Unternehmen und führe zu keiner Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie“. Es scheint, als ob der Arbeitgeberverband noch nicht verstanden hat, dass Familie heute anders gelebt wird also noch vor 30 Jahren. Väter wollen heute bei ihrer Familie sein, wenn ein weiteres Familienmitglied geboren wird. Sie unterstützen ihre Frau, betreuen allfällige Geschwisterkinder, stehen nachts auf, trösten, wickeln, umsorgen. Und zwar völlig unabhängig vom gewählten Rollenmodell. Auch in traditionell bürgerlich organisierten Familien haben Väter heute einen anderen Platz als noch vor 30 Jahren. Und diesen Fakt gilt es politisch zu antizipieren. 20 Tage Vaterschaftsurlaub, die flexibel und in Absprache mit dem Arbeitgeber innert dem ersten Lebensjahr des Babys zu beziehen sind, sind dafür der vernünftige und richtige Ansatz.
Ein Angestellter kann so in Absprache mit dem Arbeitgeber beispielsweise zehn Tage direkt nach der Geburt beziehen und weitere zehn Tage im Verlauf des Jahres. Das wäre dann noch rund ein Tag pro Monat. Wer behauptet, das sei nicht organisierbar, soll erst erklären, wie Krankheitsfälle oder Ausfälle aufgrund des Militärdienstes organisiert werden können.
Aus Sicht von Travail.Suisse ist es längst an der Zeit, 20 Tage Vaterschaftsurlaub einzuführen. Die heutigen Väter funktionieren nicht mehr wie die Generation Männer (und Frauen), die heute mehrheitlich das nationale Parlament stellen. Gespannt darf man auf die Beratung des Ständerats in der Sommersession warten. Diskutiert werden voraussichtlich gleichzeitig die Vaterschaftsurlaubs-Initiative und ihr indirekter Gegenentwurf. Der Ständerat wird zeigen können, ob ihm eine vernünftige Familienpolitik – gerade in Zeiten von Fachkräftemangel – wichtig ist oder nicht.
Gegenentwurf versus Initiative
Die Vaterschaftsurlaubs-Initiative und ihr Gegenentwurf unterscheiden sich durch zwei Merkmale: Der Gegenentwurf fordert 10 Tage Vaterschaftsurlaub, der flexibel in Einzeltagen innert dem ersten halben Lebensjahr des Kindes einzuziehen ist, und ist auf Gesetzesebene angesiedelt. Die Initiative fordert 20 Tage – ebenfalls flexibel, aber innert dem ersten Lebensjahr zu beziehen – und soll analog Mutterschaftsurlaub auf Verfassungsebene festgeschrieben werden.
Aktuelle Erhebungen zeigen, dass ein zunehmender Teil der Arbeitnehmenden bei Unternehmen oder Verwaltungen angestellt sind, die einen Vaterschaftsurlaub bieten. Die Entwicklung betrifft aber längst nicht alle Arbeitnehmer und der Umfang des Vaterschaftsurlaubs lässt zu wünschen übrig.1 Aus Sicht von Travail.Suisse, dem Dachverband der Arbeitnehmenden, darf die Entwicklung keinesfalls in eine Richtung gehen, die KMU in der Schweiz benachteiligt. Heute sieht es aber leider danach aus: Die kleine Schreinerei mit ihren wenigen Angestellten kann sich heute nicht mehr als den einen Tag Vaterschaftsurlaub leisten. Ist es wirklich diese Entwicklung, welche die Politik für die Schweiz will?
…und dann noch das Geld
Damit sich auch das traditionelle Schweizer KMU einen Vaterschaftsurlaub leisten kann, braucht es eine solidarische Lösung über die Erwerbsersatzordnung (EO). Vier Wochen Vaterschaftsurlaub kosten gemäss Bundesrat zwischen 400 und maximal 450 Millionen Franken pro Jahr, was für Arbeitgeber und -nehmer je 0.055 Lohnprozente ausmacht. Bei einem durchschnittlichen Schweizer Monatslohn macht das je 3 Franken aus – weniger als eine Tasse Kaffee.