«Flexibilisierung» der Elternzeit: Ein Frontalangriff auf den Mutterschaftsurlaub
Die Familienzeit-Initiative sieht eine gleichberechtigte Elternzeit von je 18 Wochen für beide Elternteile vor, eine Übertragung von einem Elternteil auf den anderen soll nicht möglich sein. Nun erwägen die beiden Kommissionen für soziale Sicherheit und Gesundheit unter dem Deckmantel der «Flexibilisierung», die Einführung einer Elternzeit, die sich zum Nachteil der Frauen auswirken würde. Für Travail.Suisse und alle Verfechter:innen von Frauenrechten und Gleichstellung ist dies eine inakzeptable Forderungen. Denn es handelt sich dabei um einen Frontalangriff auf den heutigen Mutterschaftsurlaub.
Die Mehrheit der zwei Kommissionen für soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK) halten den derzeitigen Mutterschaftsurlaub von 14 Wochen offenbar für ausreichend – respektive sogar für zu lang. Unter dem fadenscheinigen Vorwand, das Modell der Familienzeit-Initiative von zweimal 18 Wochen flexibler zu gestalten, wollen sie eine «Elternzeit» von 16 Wochen einführen, die sich die Eltern nach Belieben aufteilen können. Bei diesen 16 Wochen handelt es sich um die Summe des aktuell geltenden Mutterschaftsurlaubs von 14 Wochen und des Vaterschaftsurlaubs von zwei Wochen – keinen Tag mehr. Dies ist die erbärmliche Antwort auf zwei Standesinitiativen, welche die Einführung einer Elternzeit auf Bundesebene fordern.
Der Deckmantel der Gleichstellung
Die Mehrheit der Kommissionsmitglieder scheint der Ansicht, dass Eltern, die ihre Elternschaft gleichberechtigt leben wollen, einen Teil des bestehenden Mutterschaftsurlaub kürzen und auf den Vater übertragen sollen.
Für Mütter bliebe somit nur das Arbeitsverbot während der ersten acht Wochen nach der Geburt bestehen, wie es das Arbeitsgesetz vorsieht. Für Travail.Suisse ist dieser Vorschlag ein Schlag ins Gesicht aller Frauen, die fast 50 Jahre lang dafür gekämpft haben, während dieses Arbeitsverbots und darüber hinaus bezahlt zu werden. Mit sechs Wochen über das Arbeitsverbot hinaus hat der Gesetzgeber 2005 endlich einen Mindestmutterschaftsurlaub geschaffen.
Insbesondere die FDP verwendet das Argument der Gleichstellung in irreführender Weise: Eine Einschränkung der Rechte von Frauen kann nicht als Verteidigung der Gleichstellung bezeichnet werden. Travail.Suisse wehrt sich gegen den Versuch, die Rechte der Frauen unter dem Deckmantel der «Gleichstellung» von Frauen und Männern zu instrumentalisieren. Das jüngste Beispiel ist die AHV 21, welche das Rentenalter für Frauen auf 65 Jahre anhebt, obwohl die Gleichstellung von Frauen und Männern in der Schweiz in vielen anderen Bereichen noch längst nicht erreicht ist.
Keine Übertragung der Familienzeit: für mehr Gleichstellung auf lange Sicht
Die Initiantinnen und Initianten der Familienzeit-Initiative haben aus guten Gründen keine Übertragung einzelner Wochen der Elternzeit von einem Elternteil auf den anderen vorgesehen. Die Eidgenössische Kommission für Familienfragen (EKFF) hat 2020 einen «Policy Brief» veröffentlicht, der anhand von Erfahrungen in den nordischen Ländern zeigt, dass die Übertragbarkeit von Elternzeit nicht sinnvoll ist. «Tatsächlich begünstigt die Übertragbarkeit der Wochen die Chancenungleichheit zwischen den Vätern und den Müttern, da die Väter von ihrem Anspruch bei frei aufteilbarer Elternzeit allgemein weniger Gebrauch machen.» Diese Position wurde im November 2022 in einem Positionspapier der EKFF erneut bestätigt. Die Erfahrungen anderer Länder müssen berücksichtigt werden, weshalb die Familienzeit-Initiative keine Übertragung zwischen den Eltern vorsieht.
«Flexibilisierung» widerspricht ratifizierten internationalen Abkommen
Die Politikwissenschaftlerin und unabhängige Expertin für Familienpolitik Meret Lütolf lehnt in einem aktuellen Interview diese Idee der «Flexibilisierung» der Elternzeit aus wissenschaftlicher Sicht ebenfalls entschieden ab. Ihrer Meinung nach bringt diese Massnahme keine zusätzliche Zeit, sondern verlagert lediglich die ohnehin sehr begrenzte Zeit von einem Elternteil auf den anderen. Modelle, bei denen die Tage frei austauschbar sind, fördern keine echte Gleichstellung. «Nur individuell nicht übertragbare und gut entschädigte Zeitanteile führen dazu, dass Väter tatsächlich mehr Betreuungsverantwortung übernehmen. Solche Regelungen tragen langfristig zur Gleichstellung bei – alles andere bleibt symbolisch.» Sie warnt auch vor den Gesundheitsrisiken für Mütter, wenn ihre Schutzphase verkürzt wird, um mehr Flexibilität zu ermöglichen.
Der Vorschlag, den die SGK-Kommissionen ausarbeiten, wird daher nur symbolischen Charakter haben. Und das müssen sie wissen. Denn es ist nicht das erste Mal, dass dieses Thema im Parlament behandelt wird. Im Jahr 2014 wurde die Motion 14.3109 «Elternurlaub. Mehr Wahlfreiheit bei gleichen Kosten» vom damaligen FDP-Nationalrat Andrea Caroni – heute Ständerat – abgelehnt. Damals gab es noch keinen Vaterschaftsurlaub, die Einführung der heute geltenden zwei Wochen für Väter ist einer Volksinitiative von Travail.Suisse zu verdanken. Interessant sind die Argumente des Bundesrats gegen die Motion. Er erinnert daran, dass die Bundesversammlung am 12. Dezember 2012 das Übereinkommen Nr. 183 der Internationalen Arbeitsorganisation über den Mutterschutz angenommen und den Bundesrat ermächtigt hat, es zu ratifizieren, was zwei Jahre später geschah. Artikel 4 dieses Übereinkommens sieht vor, dass jede Frau Anspruch auf einen Mutterschaftsurlaub von mindestens 14 Wochen hat. Damit ist die Lage klar: Ein Gesetzesentwurf, der es Eltern ermöglichen würde, den derzeitigen Mutterschaftsurlaub von vierzehn Wochen aufzuteilen, würde dieser Bestimmung zuwiderlaufen.
Man kann sich fragen, warum dieser unsinnige Vorschlag erneut auf den Tisch kommt. Ist dieses Prinzip der «Flexibilität» eine Folge der zahlreichen Eingriffe in die Rechte der Arbeitnehmenden, die im Parlament leider Hochkonjunktur haben?
Wenn Gleichstellung langweilt, reden wir doch über Freiheit!
Im Juni letzten Jahres erinnerte Johan Rochel in der Westschweizer Tageszeitung Le Temps daran, dass Gleichstellung kein Nullsummenspiel ist. Für den Philosophen sollte jeder Mensch die Möglichkeit haben, sein Leben selbst zu bestimmen, denn Gleichstellung sei für alle von Vorteil. Um die derzeitigen Blockaden in Sachen Gleichstellung zu überwinden, schlägt er vor, über Freiheit zu sprechen. «Freiheit bedeutet nicht nur, Optionen zu haben, sondern auch die Fähigkeit, diese zu verwirklichen. Dazu braucht es bestimmte Kompetenzen, aber auch Strukturen, die uns vor Willkür, Herrschaft und Bedrohungen schützen, die uns daran hindern würden, frei zu sein.»
Die Grundsätze der Freiheit und Gleichstellung sind Travail.Suisse ein wichtiges Anliegen und bilden die Grundlage für sein Engagement für die Familienzeit-Initiative.
Initiative hier unterschreiben: www.familienzeit.travailsuisse.ch