Fünf Jahre Lohnanalysen – kein Grund zum Feiern

Die «Koalition gegen Lohndiskriminierung», ein Zusammenschluss von mehr als 50 Organisationen, zog heute in Bern eine ernüchternde Bilanz: Das seit fünf Jahren geltende Gleichstellungsgesetz, das grössere Unternehmen zu Lohngleichheitsanalysen verpflichtet, weist gravierende Mängel auf. Die Koalition fordert im Rahmen einer erneuten Revision des Gleichstellungsgesetzes die Einführung von Kontrollen und Sanktionen, die Abschaffung der Sunset-Klausel und grössere Transparenz.
Fünf Jahre nach Einführung der obligatorischen Lohnanalysen zeigen die neuesten Statistiken, dass die Lohnunterschiede immer noch bei 16 Prozent liegen. Der unerklärte Teil der Lohnunterschiede, also die direkte Lohndiskriminierung, ist gestiegen und macht 48% der festgestellten Lohnunterschiede aus. Für Frauen bedeutet dies im Durchschnitt rund 8’000 CHF weniger Lohn pro Jahr – nur weil sie Frauen sind.
Es überrascht nicht, dass auch die Zwischenbilanz des Bundesrats vom März ebenso ernüchtern ausfällt: Mehr als die Hälfte der Unternehmen hält sich nicht an die verpflichtenden Bestimmungen des Gleichstellungsgesetzes (GIG) betreffend die Lohnanalysen. Die letzte Revision des GIG hat somit doppelt versagt.
Es braucht eine erneute Revision des Gleichstellungsgesetzes
Die «Koalition gegen Lohndiskriminierung», ein Zusammenschluss von mehr als 50 Organisationen und Persönlichkeiten, hat sich heute in Bern symbolisch um eine grosse Geburtstagstorte versammelt, um diesen ernüchternden Jahrestag zu feiern. Am 1. Juli 2020 trat die Lohnanalysepflicht für Unternehmen ab 100 Mitarbeitenden in Kraft, um mögliche Lohndiskriminierungen aufzudecken. Die neun Rednerinnen wiesen aus diesem Anlass auf die bestehenden Mängel im Gesetz hin, die wie fehlende Stücke einer Geburtstagstorte anmuten.
Léonore Porchet, Vizepräsidentin von Travail.Suisse und Nationalrätin GRÜNE: «Gemäss den aktuellen Gesetzesbestimmungen reicht es aus, wenn ein Unternehmen einmal nachgewiesen hat, dass es die Lohngleichheit einhält, danach ist es von weiteren Überprüfungen befreit. Das ist viel zu optimistisch! Einem Unternehmen einen Freibrief zu erteilen, nur weil es einmal nachgewiesen hat, dass es das Gesetz eingehalten hat, öffnet Missbrauch Tür und Tor.»
Vania Alleva, Präsidentin der Gewerkschaft Unia, kritisiert das Fehlen von Sanktionen: «Nichts zwingt die Unternehmen dazu, das Gesetz einzuhalten. Und wenn sie ungerechtfertigte Lohnungleichheit entdeckt haben, gibt es keine Pflicht, diese Diskriminierung zu korrigieren. Es ist an der Zeit, dass Arbeitgeber nicht länger ungestraft davonkommen – jetzt braucht es spürbare Sanktionen.»
Für Kathrin Bertschy, Co-Präsidentin von Alliance F und Nationalrätin GLP, muss die geltende Sunset-Klausel aufgehoben werden. Sie fordert: «Ein Gesetz, das die Lohngleichheit zum Ziel hat, muss messbare und nachhaltige Effekte erzielen. Die Verpflichtungen dürfen nicht zeitlich begrenzt sein und die Verpflichtung zur Lohnanalyse muss über das Jahr 2032 hinaus bestehen bleiben.»
Für Flavia Wasserfallen, Nationalrätin SP, ist es nur logisch, dass die Bestimmungen des GlG auf Unternehmen ab 50 Mitarbeitenden ausgeweitet werden: «Die aktuelle Regelung betrifft nicht einmal 1 Prozent der Unternehmen und weniger als die Hälfte aller Arbeitnehmenden. Deshalb muss der Geltungsbereich der Gesetzgebung auf kleine und mittlere Unternehmen ausgeweitet werden.»
Myriam Heidelberger-Kaufmann, Co-Präsidentin von BPW Switzerland, bedauert, dass Unternehmen, die eine Lohndiskriminierung festgestellt haben, nicht verpflichtet sind, Massnahmen zu ergreifen: «Lohnungleichheit, die nicht begründet werden kann, ist gesetzeswidrig und muss beseitigt werden. Ohne die Verpflichtung, vor der nächsten Analyse Massnahmen zu ergreifen, kann es jedoch noch lange dauern, bis das Gesetz messbare Effekte erzielt.»
Cindy Da Costa Tavares, Pflegefachfrau und heute als Vertreterin des Schweizer Berufsverbands des Pflegefachpersonals SBK anwesend, weist auf die unklare Situation bezüglich der Kommunikation der Resultate der Lohnanalyse an die Mitarbeitenden hin: «Es fehlen klare Richtlinien, wie die Unternehmen die Ergebnisse der Lohnanalyse an ihre Mitarbeitenden kommunizieren sollen. So können Unternehmen Durchschnittswerte bekannt geben, während gleichzeitig diskriminierende Einzelgehälter gezahlt werden.»
Für Yvonne Feri, Präsidentin von femmes protestantes und Präsidentin Syna, sind die fehlenden Kontrollen nicht nachvollziehbar. Sie sagt: «Es geht um die Einhaltung des Rechts und der gesetzlichen Verpflichtungen. Niemand käme auf die Idee, auf Radarfallen auf Autobahnen zu verzichten, um die Einhaltung von Geschwindigkeitsgrenzen zu kontrollieren. Das Gleiche gilt für die Lohngleichheit: Kontrollen zur Einhaltung des Gesetzes sind unerlässlich ».
Die Präsidentin der EVP Frauen, Melanie Beutler- Hohenberger, fordert das Parlament dazu auf, die zu diesen Forderungen eingereichten Vorstösse über die Parteigrenzen hinweg zu unterstützen. «Wenn wir uns zusammenschliessen, können wir bei der Lohngleichheit endlich vorwärts machen. Dies ist im Interesse der Frauen, der Wirtschaft und der Gesellschaft.»
Übermorgen beginnt die Fussball-EM der Frauen – ein Meilenstein in der Geschichte des Schweizer Frauenfussballs. Anahi Aeschlimann, ehemalige Profifussballerin, setzt sich seit Jahren für die Gleichstellung von Frauen und Männern im Fussball und im Arbeitsleben ein. «Im Frauenfussball gilt es einen enormen Rückstand aufzuholen, nicht zuletzt bei den Löhnen. Als Fussballerin und Arbeitnehmerin setze ich mich für ein Ende der Lohndiskriminierung ein und unterstütze die Forderungen nach wirksamen gesetzlichen Regelungen.»
Die Koalition gegen Lohndiskriminierung fordert Parlament und Bundesrat dazu auf, sich erneut mit dem Thema Lohngleichheit zu befassen und das Gleichstellungsgesetz einer erneuten Revision zu unterziehen. Es braucht endlich wirksame Instrumente zur Beseitigung des Lohndiskriminierung. Bis Ende 2027 wird die Koalition ihrerseits einen neuen Gesetzesentwurf erarbeiten.
Die «Koalition gegen Lohndiskriminierung» wurde im März 2025 gegründet, mit dem Ziel, eine Revision des Gleichstellungsgesetz hinsichtlich der Lohnanalysen zu erreichen. Ihre Forderungen hat die Koalition in einem offenen Brief an den Bundesrat formuliert. Sie umfasst mehr als fünfzig Organisationen und Persönlichkeiten.