Eltern am Limit: Warum wir eine echte Familienzeit brauchen
Die Schwierigkeiten bei der Vereinbarung von Beruf und Familie schwächen die Arbeitnehmenden auf lange Sicht. Mit der Geburt eines Kindes beginnt eine neue Phase der Verletzlichkeit, die zu schwerwiegendem Eltern-Burnout führen kann, das beide Elternteile betreffen kann. Die Folgen für die ganze Familie sind verheerend. Eine Möglichkeit, dieser Spirale zu entkommen, besteht darin, jungen Eltern nach der Geburt eines Kindes Zeit zu geben, damit sie die dringend benötigte Ruhe zurückgewinnen können – sei es in Bezug auf die zur Verfügung stehende Zeit oder in Bezug auf ein gesichertes Einkommen. In dieser Hinsicht ist die Einführung einer Familienzeit von zweimal 18 Wochen, wie sie die Familienzeit-Initiative fordert, dringend notwendig.
Die häufigste Todesursache von Frauen nach der Geburt eines Kindes in Frankreich ist Suizid, und es scheint, dass die Tendenz in der Schweiz ähnlich ist. Glücklicherweise riskiert eine Frau, die im Jahr 2025 in der Schweiz ein Kind zur Welt bringt, dank des medizinischen Fortschritts nicht mehr ihr Leben. Begeht eine junge Mutter Suizid, leidet sie höchstwahrscheinlich an einer postpartalen Depression (PPD) oder, schlimmer noch, an «parental burnout». Von diesem Phänomen sind in der Schweiz gemäss einer Studieetwa 5% der Eltern betroffen, womit unser Land zu den zehn am stärksten betroffenen Ländern gehört. 15-20% der Eltern von Kleinkindern weisen gar ein ein mässiges bis hohes Risiko auf, gemäss einer anderen Studie. Bereits in den ersten Wochen nach der Geburt sind beide Elternteile gefährdet, ein elterliches Burnout-Syndrom zu entwickeln, da die Rahmenbedingungen für die Eltern oft unzureichend sind, insbesondere durch einen zu kurzen Mutterschafts- und Vaterschaftsurlaub.
Vereinbarkeitsprobleme als Ursache von elterlichem Burnout
Laut dem Familienbarometer 2025 von Pro Familia geben 29% der Familien an, dass Druck auf die Eltern das Familienleben beeinträchtigt. Der Hauptgrund für den Druck, den die befragten Eltern empfinden, ist die Herausforderung, Beruf und Privatleben zu vereinbaren (54%). Dieser Druck wirkt sich jedoch bereits vor der Geburt der Kinder auf die psychische Gesundheit der Menschen aus. Das ist kein neues Phänomen: Bereits 2009 gab laut einer Studie der Universität Zürich mehr als jede:r siebte Arbeitnehmer:in in der Schweiz an, grosse Schwierigkeiten zu haben, Beruf und Privatleben miteinander zu vereinbaren. In einigen soziodemografischen Kategorien gaben bis zu 30 % der Personen an, Konflikte zwischen Berufs- und Privatleben zu haben. Bei beiden Geschlechtern erwies sich ein Ungleichgewicht zwischen Berufs- und Privatleben als Risikofaktor für die psychische Gesundheit.
Babyblues, postpartale Depression und Burnout
Es ist notwendig, zwischen dem so genannten Babyblues, der postpartalen Depression (PPD) – von der etwa 15% der Mütter in der Schweiz betroffen sind – und dem elterlichen Burnout zu unterscheiden. Der Babyblues tritt bei bis zu 80% der Frauen in den ersten zwei Wochen nach der Geburt aufgrund der hormonellen Umstellung auf und verschwindet in der Regel von selbst wieder. Die PPD hingegen entwickelt sich langsam und kann auch noch Monate nach der Geburt auftreten. Sie gehört zu den psychischen Störungen, die sich von Beginn der Schwangerschaft bis zu einem Jahr nach der Geburt entwickeln können. Die meisten PPDs haben keine langfristigen Folgen, wenn sie rechtzeitig erkannt und behandelt werden. Manchmal verschlechtert sich die Situation jedoch in einem Kontinuum, das es schwierig macht, zwischen dem, was als «normal» angesehen werden kann, und einer psychischen Störung zu unterscheiden, die sich über einen längeren Zeitraum entwickelt und zu einem elterlichen Burnout führen kann.
Das Konzept des beruflichen Burnouts ist bekannt. Das elterliche Burnout ist ihm ähnlich[1]. Es handelt sich um ein Syndrom, das Eltern betrifft, die chronischem Stress ausgesetzt sind, weil sie nicht über ausreichende Ressourcen verfügen, um diesen zu kompensieren. Das Syndrom äussert sich durch bestimmte Merkmale. Im Vordergrund steht die emotionale Distanzierung von den eigenen Kindern: Der erschöpfte Elternteil kann sich nicht mehr auf die Beziehung zu seinem Kind bzw. seinen Kindern einlassen. Dies wirkt sich langfristig auf die gesamte Familie aus. Eine Studie aus dem letzten Jahr zeigt, dass ein beträchtlicher Anteil der Eltern – 15 bis 20 % der Eltern minderjähriger Kinder – ein mittleres bis hohes Risiko für elterliches Burnout aufweist.
Das erste Jahr nach der Geburt eines Kindes ist für die Eltern immer sehr anstrengend, vor allem im Hinblick auf den Schlafmangel. Eine englische Studie aus dem Jahr 2019 schätzt, dass ein Elternteil, das sich um ein Neugeborenes kümmert, in dieser Zeit durchschnittlich 4 Stunden und 44 Minuten pro Nacht schläft. Dies führt zu einem Schlafverlust von mehr als zwei Monaten im ersten Jahr nach der Geburt des Kindes, was durchschnittlich 31 Stunden weniger Schlaf pro Woche bedeutet. Junge Eltern brauchen im Durchschnitt sechs Jahre, um wieder ausreichend Schlaf zu bekommen. Wer zu wenig schläft, ist chronisch müde und hat ein hohes Burnout-Risiko.
Die Schweiz bietet notorisch zu kurze Geburtsurlaube an (Mütter haben Anspruch auf 14 Wochen bezahlten Urlaub, Väter bzw. zweite Elternteile auf 2 Wochen). Das ist absolut unzureichend. Die vom Bundesamt für Statistik veröffentlichten Zahlen belegen dies: 20 Wochen nach der Geburt ist die Mehrheit der Mütter (54%) noch nicht wieder an ihren Arbeitsplatz zurückgekehrt (Durchschnitt der Jahre 2011 bis 2023). Eine Studie des SECO unterstreicht den kausalen Zusammenhang zwischen der Zunahme gesundheitlicher Probleme (u.a. Schlafstörungen) und der schlechten Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
Auch Väter sind betroffen
Obwohl Mütter häufiger an einer postpartalen Depression erkranken, wäre es falsch zu glauben, dass es sich um ein reines Frauenproblem handelt. Zehn Prozent der Männer sind ebenfalls betroffen, da auch sie mit hormonellen Veränderungen zu kämpfen haben. Wer sich um ein Neugeborenes kümmert, durchlebt eine Zeit der hormonellen Umstellung. Dabei spielt es nicht nur eine Rolle, ob man selbst ein Kind ausgetragen hat, sondern auch, ob man sich nach der Geburt um ein Kind kümmert. Psychologen gehen heute davon aus, dass diese hormonellen Veränderungen die Bindung zum Neugeborenen fördern.
Die Symptome und der Zeitpunkt des Auftretens sind jedoch unterschiedlich: Bei Müttern gibt es zwei Spitzenwerte für das Auftreten von PDD, einen in der vierten bis sechsten Woche nach der Geburt und einen weiteren etwa sechs bis neun Monate nach der Geburt. Bei Vätern tritt PPD in der Regel zwischen drei und sechs Monaten nach der Geburt auf (Le Matin).[2] Darüber hinaus zeigt eine Studie der Hochschule Luzern, dass zwischen 24 und 50 % der Männer, deren Frauen an einer PPD leiden, selbst eine PPD entwickeln. Es handelt sich um eine regelrechte «depressive Ansteckung», die zwischen den Eltern stattfindet.
Eine Familienzeit von 2 x 18 Wochen ist dringend nötig
Die Ursache für die Entwicklung eines elterlichen Burn-out ist, wie wir gesehen haben, in der Tatsache zu suchen, dass starker chronischer Stress nicht durch ausreichende Ressourcen kompensiert werden kann. Dazu gehören die zu kurze Dauer der bestehenden Elternurlaub und die faktische Unmöglichkeit, diese (vollständig) zu beziehen, wenn die Einkommenseinbusse von 20%, die das heutige System vorsieht, für die Familie finanziell nicht tragbar ist. Wenn das Neugeborene nach der Geburt während neun Monaten von beiden Elternteilen betreut wird, wie es die Familienzeit-Initiative verlangt, wird dies zu einer deutlichen Verbesserung dieser berühmten Ressourcen beitragen. Mit einem Lohnersatz von bis zu 100 Prozent für die tiefsten Einkommen werden zusätzliche wirtschaftliche Belastungen vermieden. Nach einigen gemeinsamen Wochen kann sich jeder Elternteil auf den anderen verlassen, in der Gewissheit, dass das Wohl des Kindes durch die Anwesenheit des anderen Elternteils gewährleistet ist. Mit dieser Gewissheit an den Arbeitsplatz zurückzukehren, wird es vielen Mütter erleichtern, nach den 18 Wochen Familienzeit an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren, anstatt die «Familienpause» auf eigene Kosten zu verlängern, wie es die Mehrheit heute tut.
Die Einführung einer Familienzeit von 36 Wochen ist eine seit vielen Jahren überfällige Massnahme, um den Bedürfnissen der Familien gerecht zu werden. Verglichen mit der durchschnittlichen Dauer des Elternzeit in anderen Ländern (im OECD-Durchschnitt 61 bezahlte Wochen im Jahr 2022 gegenüber 54 im Jahr 2016) ist die Dauer immer noch sehr bescheiden. Die Schweiz liegt sowohl im Vergleich mit ihren Nachbarländern als auch innerhalb der OECD weit zurück. Für den Preis von zwei Kaffees pro Monat, bezahlt von den Arbeitgebenden und den Arbeitnehmenden, wird die Familienzeit den Familien eine dringend benötigte Atempause verschaffen und nicht zuletzt kostspielige Krankschreibungen wegen elterlichem Burn-out verhindern.
Ressourcen
Folgende Websites stellen Ressourcen für Eltern und ihr Umfeld zum Thema postpartale Depression und elterliches Burn-out zur Verfügung:
- Postpartale Depression Schweiz
- Hôpitaux Universitaires Genève (auf Französisch)
Quellen
[1] Vgl. die verschiedenen Merkmale auf der Website «Parental Burnout»: www.burnoutparental.com
[2] Gemäss Dr. Lamyae Benzakour, Assistenzärztin, Leiterin der Abteilung für Verbindungspsychiatrie am Universitätsspital Genf, Interview in Le Matin, 20. Dezember 2024.