Die Entwicklungen im Bereich der Krankentaggeldversicherung beschäftigen Travail.Suisse und seine Verbände. Die Lohnfortzahlung bei Krankheit stellt eine der letzten grossen gesetzlichen Lücken in den Sozialversicherungen dar. Aus Sicht von Travail.Suisse besteht hier eindeutig Handlungsbedarf, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen. Deshalb schlägt Travail.Suisse ein neues Modell einer öffentlichen Versicherungsanstalt vor, analog zur SUVA.
Zunahme von Absenzen und psychischen Krankheiten
Die Absenztage haben sich in den letzten fünfzehn Jahren erhöht. Während pro Vollzeitarbeitnehmenden im Jahr 2010 noch 6,3 Absenztage aufgrund von Krankheit oder Unfall anfielen, waren es im Jahr 2024 bereits 8,5 Absenztage. Pro Person sind die Absenzen somit um über zwei Tage pro Jahr gestiegen und auch nach der Corona-Pandemie auf einem höheren Niveau geblieben. Während diese Absenztage bei Unfall gedeckt sind, ist dies im Falle von Krankheit nicht zwingend. Für Travail.Suisse ist klar, dass kranke Arbeitnehmende in dieser Zeit einen Lohnersatz brauchen.
Gleichzeitig haben sich in den letzten dreissig Jahren auch die Ursachen für IV-Renten stark verändert. 1995 wurden noch ähnlich viele IV-Renten aufgrund von Verletzungen an Knochen und an Bewegungsorganen – also aufgrund physischer Beeinträchtigungen – ausgerichtet, wie aufgrund psychischer Erkrankungen. Heute beziehen 51% der Bezügerinnen und -Bezüger eine IV-Rente aufgrund von psychischen Ursachen. Hingegen haben die Verletzungen an Knochen und Bewegungsorganen eher an Bedeutung verloren, was sicher auch ein Verdienst der erfolgreichen Präventionsarbeit der SUVA ist. Eine Krankentaggeldversicherung könnte bei einer sinnvollen Ausgestaltung ebenfalls einen wesentlichen Beitrag zur Prävention von psychischen Krankheiten leisten.
IV-Rentenbeziehende nach Invaliditätsursache, 1995-2023 (IV-Statistik, Bundesamt für Sozialversicherungen)

Aktuelle Versicherungsvarianten
Gemeinsam mit den Sozialpartnern konnten die Mitgliedverbände von Travail.Suisse die Pflicht zu einer Lohnfortzahlung bei Krankheit während rund zwei Jahren in den Gesamtarbeitsverträgen etablieren. Diese Regelung wurde auch vom Bundesgericht gestützt. In der Praxis gibt es derzeit drei Varianten, wie diese Pflicht umgesetzt wird. Die allermeisten Betriebe schliessen eine Krankentaggeldversicherung nach Versicherungsvertragsgesetz ab. Hierbei stellt sich das Problem, dass die Versicherer keine Versicherungspflicht haben und die Prämien im Schadensfall stark ansteigen können. Ein weiterer Teil der Krankentaggeldversicherungen wird nach Krankenversicherungsgesetz abgeschlossen. Das ist aber ein sehr kleiner Teil, da es hier keine Mindesthöhe des Taggelds gibt. Schliesslich gibt es grosse Betriebe, die eine interne Lösung für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall haben. Dank einer grossen Anzahl an Angestellten können sie das Risiko so poolen, dass sich die Kosten im Durchschnitt ausgleichen und sie keine externe Versicherung benötigen.
Eckpunkte eines neuen KTG-Modells
Travail.Suisse ist aufgrund der bisherigen Erfahrungen mit der Krankentaggeldversicherung der Ansicht, dass es ein neues Modell braucht, um auf die veränderten Risiken – insbesondere die Zunahme psychischer Erkrankungen und Absenztage – zu reagieren. Das neue Modell soll zudem die Prävention im Krankheitsfall stärken.
Zunächst sollte eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall von 720 respektive 730 Tagen in sämtlichen Branchen für obligatorisch erklärt werden – auch in denjenigen ohne Gesamtarbeitsvertrag – so dass die Frist bis zur Ausrichtung einer IV-Rente abgedeckt wäre. Dazu müssten die Mindestleistungen der Versicherer gesetzlich festgelegt werden. Wichtig wäre dabei, dass der Lohnersatz bei tiefen Einkommen bis zu 100% beträgt. Dafür müsste eine öffentliche Versicherungsanstalt analog der SUVA geschaffen werden, bei der sich ein Teil der Unternehmen versichern müsste. . Der Vorteil einer solchen Versicherungsanstalt wäre, dass es zu einem Pooling der Risiken käme. Damit könnten die Risiken besser verteilt und pro Betrieb gesenkt werden. Dies würde es ermöglichen, die Prämien mindestens zu stabilisieren, wenn nicht sogar zu senken.
Zudem gäbe es für diese öffentliche Versicherungsanstalt einen starken Anreiz, in Präventionsmassnahmen zu investieren. Heute ist dieser Anreiz nicht vorhanden, da die Versicherer die Prämien erhöhen können, wenn ein Schadensfall eintritt. Würde eine öffentliche Versicherungsanstalt auf Unternehmen mit hohen Krankheitsfällen zugehen, würde sich dies positiv auf die Gesundheit der Arbeitnehmenden am Arbeitsplatz auswirken. Des Weiteren liesse sich auch die Datenlage zu Krankheitsursachen am Arbeitsplatz deutlich verbessern und zur Prävention nutzen.