Die Berufsbildung steht vor vielen Herausforderungen
Die Berufslehre zeigt sich als widerstandsfähig. Trotz der durch Corona ausgelösten Wirtschaftskrise wurden im Sommer 2020 über 76‘000 neue Lehrverträge abgeschlossen. Das sind sogar etwas mehr als 2019. Trotzdem darf die Berufsbildung aus Sicht von Travail.Suisse, dem unabhängigen Dachverband der Arbeitnehmenden, die Hände nicht in den Schoss legen. Denn es gibt viele Herausforderungen, welche die Berufsbildung zu bewältigen hat.
Niemand weiss, wie sich Corona 2021 auf die Lehrstellensituation auswirkt. Zudem fordert die Digitalisierung Veränderungsprozesse in der Berufsbildung. Und auch die Gleichwertigkeit der berufsbildenden und der allgemeinbildenden Wege ist gesellschaftlich und politisch noch nicht überall anerkannt. Nach Meinung von Travail.Suisse sind deshalb die folgenden Anliegen mit besonderer Priorität zu behandeln:
- Die Arbeit der Task Force „Perspektive Berufslehre 2020“ (1) ist auch im Hinblick auf den Sommer 2021 weiterzuführen. Denn die Anzahl Personen, welche 2021 eine Lehrstelle suchen werden, nimmt im Vergleich zu 2020 zu. Zudem sind die wirtschaftlichen Unsicherheiten der Betriebe aufgrund von Corona gross. Es braucht daher auch weiterhin die Task Force, die durch ein gutes Monitoring die Entwicklung der Situation verfolgt und entsprechend der Lage zielgerichtete Massnahmen auslösen oder vorschlagen kann.
- Die neue Governance der Berufsbildung ist umzusetzen (2). Dank ihr soll die Berufsbildungssteuerung verbessert werden, die verbundpartnerschaftliche Zusammenarbeit gestärkt, die Transparenz der Entscheidungsprozesse erhöht und die Einbindung der unterschiedlichsten Akteure optimiert werden. Das Spitzentreffen der Berufsbildung vom 09.11.2020 hat es in der Hand, hier die entsprechenden Entscheidungen zu treffen.
- Die Entwicklung einer nationalen Strategie für die Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung BSLB ist konsequent weiterzutreiben (3) . Die BSLB ist gemäss heutigem Gesetz Aufgabe der Kantone. Angesichts der Bedeutung der BSLB (4) für die Unterstützung der Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden bei der Bewältigung der Veränderungsprozesse ist aber eine nationale Strategie notwendig. Die BSLB braucht einen nationalen Auftrag statt 26 unterschiedliche kantonale Aufträge. Alle Bewohnerinnen und Bewohner der Schweiz, die Schulen und die Betriebe sollen wohnortunabhängig von den gleichen Dienstleistungen profitieren können. Travail.Suisse würde es begrüssen und arbeitet darauf hin, dass der Bund sich über die Bundespauschale an der BSLB finanziell beteiligt. Denn nur so ist eine neue nationale Strategie finanziell zu bewältigen.
- Für die Bewältigung der wirtschaftlichen Strukturveränderungen ist die Anpassungsbildung der im Arbeitsmarkt stehenden Arbeitnehmenden zu stärken. Dazu ist auf der Grundlage von Art. 32.2a des Berufsbildungsgesetzes eine Finanzierung des Aufbaus und der Umsetzung von Branchenzertifikaten vorzusehen. Damit schafft man die Möglichkeit, dass qualifizierte Arbeitnehmende die notwendige Anpassungsbildung erhalten, ohne eine langjährige, kostenintensive formale Bildung auf sich nehmen müssen.
- Die Höhere Berufsbildung muss im tertiären Bildungsbereich besser positioniert werden. Die Schweiz verfügt über ein durchlässiges Bildungssystem. Dies kommt insbesondere auch Personen zugute, welche den berufsbildenden Weg als erste nachobligatorische Ausbildung gewählt haben. Sie können ihre Karriere bildungsmässig fortsetzen, indem sie eine Ausbildung auf der Stufe der Höheren Berufsbildung wählen, mit Hilfe der Berufsmaturität sich an eine Fachhochschule einschreiben oder sich über die Passerelle (5) den Zugang zu universitären Studiengängen erarbeiten. Alle drei Wege führen ins tertiäre Bildungssystem. Die Schweiz hat es allerdings bisher verpasst, die Höhere Berufsbildung so zu positionieren, dass ihre Abschlüsse international als Tertiärabschlüsse wirklich erkannt und anerkannt werden.
- Das Profil der Fachhochschulen ist zu stärken, und zwar durch einen bewusst umgesetzten und hochgehaltenen Praxisbezug ihrer Hochschulbildung. Dieses Profil können sie aber nur erhalten und vertiefen, indem Personen mit einem starken Praxisbezug, angeeignet über die Ausbildung oder die beruflichen Erfahrungen, relevant im Lehrkörper wie auch in der Hochschulleitung vertreten sind. Die Fachhochschulen sollten daher gezielt ihre eigenen Abgängerinnen und Abgänger fördern und nur sehr zurückhaltend ihre Dozierenden und Forschenden aus dem universitären Bereich rekrutieren. Die Organe der Forschungsförderung und der Akkreditierung sollten sie durch die Definition ihrer Bewilligungs- und Akkreditierungskriterien darin unterstützen.
- Die Barrierefreiheit muss in der nachobligatorischen Bildung Standard werden. Mehr Menschen mit Behinderungen könnten in die nachobligatorische Bildung und den Arbeitsmarkt integriert werden, wenn die Barrierefreiheit besser beachtet würde. Es braucht in der Schweiz eine Sensibilisierung dafür, was Barrierefreiheit leisten kann und was dank der Digitalisierung – wenn sie richtig angewandt wird – diesbezüglich auch alles möglich wäre.
Ohne Unfall durch die Lehre
Jugendliche in der Lehre sind überdurchschnittlich oft von Arbeitsunfällen betroffen. Travail.Suisse, der unabhängige Dachverband der Arbeitnehmenden, hat deshalb zwei Instrumente geschaffen, um die Lernenden für das Thema „Arbeitssicherheit“ zu sensibilisieren.
Die Broschüre „Ohne Unfall durch die Lehre“ (6) enthält die wichtigsten Regeln, die zur Verhütung von Arbeitsunfällen eingehalten werden müssen. Dank der Unterstützung durch die Suva können wir sie den Schulen gratis abgeben.
Die Lern- und Quizplattform www.2xgewinnen.ch führt die Jugendlichen auf spielerische Art und Weise in die Thematik der Arbeitssicherheit und Unfallverhütung ein (erster Gewinn). Wenn sie fünf Fragen des Quiz fehlerfrei beantwortet haben, können sie einen Gutschein nach Wahl im Wert von CHF 100.00 gewinnen (zweiter Gewinn).
Beide Produkte stehen auf Deutsch, Französisch und Italienisch zur Verfügung.